WIE TICKT EIGENTLICH...: WARUM DIE MENSCHEN IN PORTUGAL SO GERNE IN ERINNERUNGEN SCHWELGEN

Portugal ist ein Traumreiseziel für Surfer und Strandliebhaber. Aber das Land hat noch sehr viel mehr zu bieten, als Sonne, Strand und Meer. Was das ist, hat uns ein Einheimischer verraten. 

Reisen erfüllt viele unserer Grundbedürfnisse. Wir entdecken dabei nicht nur beeindruckende Landschaften, können abschalten und uns selbst weiterentwickeln, sondern kommen einander auch menschlich näher, wenn wir uns darauf einlassen. Und sind wir mal ehrlich: Wir sehnen uns nach echten Begegnungen, nach neuen Erfahrungen, wollen in fremde Kulturen eintauchen und erfahren, wie andere Menschen leben und die Welt sehen. Soweit jedenfalls die Theorie. 

Im Urlaub angekommen erwischen wir uns dann doch häufig dabei, die Touristenpfade weiter auszutreten, statt hinter die Kulissen des einheimischen Lebens zu blicken. Dabei könnte genau das helfen, das Problem mit dem Massentourismus zu beheben und Erinnerungen zu schaffen, die sich abheben von klassischem Sightseeing und Strandbesuch. Damit Sie bereits vor der nächsten Reise einen ersten Eindruck haben, welche Menschen Sie vor Ort treffen könnten, stellen wir Ihnen Einheimische aus den beliebtesten Urlaubsländern der Deutschen vor. 

Ein Blick in die Seele Portugals

Diesmal ist Nuno Barros an der Reihe. Der Portugiese lebt im Südwesten seines Landes – und hat uns einen Einblick in die Nostalgie seiner Landsleute gegeben. 

Was gefällt Ihnen besonders an Ihrem Heimatland? 

Ich mag die Vielfalt der Natur- und Kulturlandschaften. Es ist faszinierend, dass es in einem so kleinen Land so viele Arten und Lebensräume gibt - mein Favorit sind die Meerestiere. Gleichzeitig haben wir auch viele unterschiedliche Traditionen, Gewohnheiten und kulturelle Details. Ich mag vor allem die lockere portugiesische Lebensart. Wir sind ein entspanntes Volk. Und das aus gutem Grund: Da die Löhne so niedrig und die Möglichkeiten so gering sind, passen sich die Portugiesen leicht an das an, was ihnen mehr Vorteile bringt. Das öffnet allerdings auch Massentourismus und Identitätsverlust Tür und Tor. 

Wie erleben Sie den Tourismus in Ihrem Heimatland?

Mit gemischten Gefühlen. Ich lebe im Südwesten Portugals. Vor 30 Jahren gab es praktisch keinen Tourismus. Der Rest der Algarve war schon lange vom Strand- und Golftourismus überlaufen, aber wir blieben relativ unbekannt, denn das Meer war rauer und das Wetter kühler. Aber seit etwa 15 Jahren werden wir von drei gleichzeitigen Explosionen heimgesucht: Ferienvermietung, Surfindustrie und soziale Medien. Vor allem im Sommer kann das schon einmal zu viel werden und zu regelrechten Exzessen führen. Ich verstehe die Vorteile des Tourismus für die lokale Wirtschaft, aber es kommt darauf an, welche Art von Tourismus man für sein Land will. Manchmal denke ich, dass Portugal und meine Region eine Strategie brauchen, um den vielen Besuchern wieder Herr zu werden. Es ist durch die Globalisierung alles etwas außer Kontrolle geraten.  

Nicht nur die Zahl an Touristen ist ein Problem, oft ist es eher ihr Verhalten. Was sollte man unbedingt über Ihr Land wissen, wenn man dorthin reist?

Man muss wissen, dass wir ein gastfreundliches Volk mit einer uralten Geschichte sind. Nicht alles, was in Reiseführern steht, stimmt. Wir essen nicht jeden Tag "pastéis de nata" oder fahren mit Rikschas zur Arbeit. Wenn Sie Portugal wirklich erleben wollen, sollten Sie langsam vorgehen, etwas unabhängig sein und sich Zeit nehmen. Informieren Sie sich, bleiben Sie in einem kleinen Ort und fragen Sie uns um Rat. Versuchen Sie, mit einem Führer die örtliche Tierwelt kennen zu lernen. Probieren Sie den lokalen Wein. Erleben Sie verschiedene Städte und Landesteile, wenn Sie können. Und denken Sie daran: Wir sind ein maritimes Land - die Azoren und Madeira sind keine überseeischen Territorien. Sie sind Regionen Portugals und genauso portugiesisch (manchmal sogar noch mehr) als alles auf dem Festland.

Was zeichnet Portugal Ihrer Meinung nach wirklich aus?

In meinem Land gibt es viele verschiedene Unterregionen, die sich alle durch Eigenheiten voneinander abheben. Aber: Eine Sache, die uns alle auf eine Art charakterisiert ist unsere Liebe zur Nostalgie. Wir denken viel an die Vergangenheit, an das, was hätte sein können, und neigen dazu, die wunderbaren Dinge, die vor uns liegen, nicht zu sehen und zu würdigen. Stattdessen verlieren wir uns in Erinnerungen und Sehnsüchten. Aber so ist es glaube ich in den meisten Ländern der westlichen Welt. Und wir lieben unser Land – mit allen guten und schlechten Dingen. 

Welche Vorurteile über Ihr Heimatland kennen Sie - und welche sind wahr?

Viele Menschen denken, dass wir ein Auswanderungsland sind. Das Klischee basiert auf der Annahme, dass während der Diktatur im letzten Jahrhundert viele Portugiesen in einkommensstärkere Länder Europas flohen und wir heute entweder auf dem Bau oder in der Regierung arbeiten. Das ist natürlich Quatsch. Viele Vorurteile drehen sich um Arbeit. So wird auch angenommen, dass die Menschen im Süden weniger arbeiten als die im Norden. Das ist – gelinde gesagt – idiotisch. Ja, der Süden hat mehr Tourismus und besseres Wetter, der Norden mehr Industrie. Aber alle Menschen arbeiten. Achso: An der Algarve ist übrigens nicht immer gutes Wetter. Die Winter können kalt und regnerisch sein, je nachdem, wo man sich befindet. Und nein, wir haben nicht alle Schnurrbärte...

Dieser Artikel ist Teil der Serie "Wie tickt eigentlich...", die einmal im Monat erscheint. Demnächst reisen wir gemeinsam nach Spanien, Italien und Island. 

Lesen Sie bis dahin doch mal in den ersten Teil der Serie rein: 

Wie tickt eigentlich... Österreich? 

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