JüRGEN SCHMUDE: WIRD ES WIRKLICH GRüNER? TOURISMUSFORSCHER VERRäT, WIE WIR IN ZUKUNFT REISEN WERDEN

Wenn Klimakrise, Krieg und Inflation auf Fernweh, Abenteuerlust und urlaubsreife Menschen treffen, dann wird es kompliziert, oder? Tourismusforscher Dr. Jürgen Schmude hat dem stern die drängendsten Fragen rund um die Zukunft des Reisens beantwortet. 

Reisen war in diesem Sommer endlich wieder möglich ­– und aktuellen Umfragen zufolge haben die Deutschen ihr Fernweh auch wieder entdeckt. Wie steht es nach den schweren Jahren aktuell um den Tourismus?

Dr. Jürgen Schmude: Wenn wir uns die aktuellen Umfrageergebnisse anschauen, dann bewegen wir uns stark in die Richtung, die wir vor der Coronavirus-Pandemie eingeschlagen haben. Die Fernreisen, vor allem auf dem Luftweg, sind dahingehend allerdings noch ausbaufähig. Insgesamt kann man aber sagen, die Reiselust der Menschen ist ungebrochen. Vielleicht ist sie durch die Pandemie sogar noch etwas gestiegen.

Fernreisen werden also noch zögerlich gebucht. Wie steht es um innereuropäische Reisen?

Ich gehe davon aus, dass innereuropäische Reisen schon im Jahr 2024 wieder das Vor-Corona-Niveau erreicht haben – wenn sie es nicht sogar übertreffen werden. Deutsche Reisende bleiben dabei ihrer Linie treu: Spanien landet bisher weiterhin auf Platz eins, Italien auf Platz zwei. Das heißt auch, der Massentourismus ist an vielen Orten in Europa zurück. 

Wie Pauschalreisen und Nachhaltigkeit zusammenpassen

Massentourismus ist so ein Phänomen, das viel Schaden angerichtet hat – auch in der Umwelt. Warum machen wir trotzdem damit weiter?

Reisen gehört nach wie vor zu den wichtigsten Grundbedürfnissen des Menschen. Wir sind eher bereit, auf viele andere Dinge ­­zu verzichten, bevor wir beim Urlaub Abstriche machen. Ich rechne damit, dass die Menschen eher beim Essen oder anderen alltäglichen Annehmlichkeiten sparen als beim Urlaub. Und auch beim Urlaub gibt es noch genug Stellschrauben, an denen man drehen kann: die Hotelkategorie, der Urlaubsort, die Reisedauer. Deshalb lernen wir vermutlich auch nichts aus den Fehlern der Vergangenheit, sondern machen da weiter, wo wir vor der Pandemie aufgehört haben. 

…bei Pauschalreisen und Billigflügen?

So ungefähr. Selbst Menschen, die von der Inflation und der Energiekrise stark betroffen sind, verzichten nicht aufs Reisen. Aber natürlich merken wir schon, dass sie kürzer verreisen oder bei der Qualität eher Kompromisse eingehen als früher. Trotz steigender Preise gibt es nach wie vor auch ein großes Low-Price-Segment. Das wird zum Beispiel im Pauschalreisebereich auch erstmal so bleiben. 

Und wo bleibt da die Nachhaltigkeit?

Wenn es um Nachhaltigkeit geht, ist in erster Linie die Anbieterseite gefragt. Bisher läuft das aber ehrlich gesagt eher schleppend an. Unsere jüngsten Umfragen zeigen, dass Reisende die nachhaltigen Angebote nur schwer finden. Und wenn doch, dann wird der klimafreundliche Aspekt nicht deutlich genug kommuniziert. 

Die wichtigste Stellschraube für nachhaltiges Reisen

Wie erkenne ich denn klimafreundliche Reiseangebote?

Es gibt ein paar grobe Richtlinien, an denen man eine nachhaltige Reise erkennt. Einerseits sind das häufig keine Kurztrips, damit sich die Anreise, die häufig zu den umweltunfreundlichsten Teilen einer Reise gehört, lohnt. Andererseits wird darauf geachtet, dass man in nachhaltigen Unterkünften übernachtet. Und zwar nicht nur im ökologischen Sinne. Es geht auch darum, mit dem Aufenthalt nicht negativ in die Lebenswelt der Einheimischen einzugreifen.

Der Schlüssel zur Nachhaltigkeit liegt auch in der Mobilität. Ist das auch im Tourismus der Fall?

Auf jeden Fall. Ganz egal, von welchem Marktsegment im Tourismus wir sprechen – Erholungstrip, Städtereise oder Badeurlaub – die Hin- und Rückreise ist eine wichtige Stellschraube für unser Klima. Schätzungen zufolge verursacht sie mindestens 60 Prozent des ökologischen Fußabdrucks des gesamten Urlaubs.

Über die Zukunft der Kreuzfahrt

Besonders gravierend ist der ökologische Fußabdruck bei Kreuzfahrten. Und trotzdem boomt die Branche wieder, die Buchungszahlen steigen…

Ja, die Kreuzfahrtbranche erholt sich so langsam wieder vom Corona-Schock. Vor allem Leute, die schon Erfahrungen mit der Kreuzfahrt gemacht haben, gehen oft wieder aufs Schiff. Für die Reedereien ist es aber schwieriger geworden, Neukunden zu gewinnen. Das liegt auch am Image der Branche, das vor allem bei jüngeren Reisenden verbreitet ist: Die Kreuzfahrt gilt als spießig und klimaschädlich. Und auch die Bilder von Kreuzfahrern, die wegen einem Corona-Lockdown auf dem Schiff festsitzen, hallt noch nach. 

Viele Reedereien haben Nachhaltigkeit mittlerweile auf ihre Agenda aufgenommen. Aber gibt es denn überhaupt eine grüne Kreuzfahrt?

Viele Reedereien arbeiten daran, nachhaltiger zu werden. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass die Lebensdauer eines Schiffs rund 50 Jahre beträgt. Das heißt, bis wir irgendwann mal von einer ansatzweise grünen Kreuzfahrt sprechen können, dauert es noch eine ganze Weile. Man kann so ein Schiff ja auch nicht eben mal umbauen. 

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